Kündigung nach Krankmeldung – Maßregelungsverbot nach § 612a BGB und seine Grenzen – Entscheidung des LAG Hessen

Das LAG Hessen hat mit Urteil vom 28.03.2025 (Az.: 10 SLa 916/24) entschieden, dass allein der zeitliche Zusammenhang zwischen Krankmeldung und Kündigung nicht ausreicht, um eine unzulässige Maßregelung anzunehmen. Kündigt der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit einer Krankmeldung, kann dies gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB verstoßen. Die Entscheidung finden Sie unter folgendem Link.

 

Zum Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Fahrer beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah eine Probezeit mit verkürzter Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch („BGB“) vor. Zu den vertraglich vereinbarten Hauptaufgaben zählte neben dem Führen des Fahrzeugs auch die eigenverantwortliche Abladung am jeweiligen Entladeort. Der Kläger und drei weitere Mitarbeiter wurden von einer spanischen Vermittlungsagentur an die Beklagte vermittelt.

Während des Ladevorgangs eines Fahrzeugs im Rahmen seiner Tätigkeit stürzte der Kläger bei Eisglätte und zog sich eine Verletzung zu. Er reichte eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Diese prognostizierte ein Ende der Arbeitsunfähigkeit nach sieben Tagen.

Zwei Tage nach Einreichen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger.

Der Kläger erhob eine Kündigungsschutzklage. Er sieht in der Kündigung eine unzulässige Maßregelung gemäß § 612a BGB, da sie seiner Auffassung nach im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Meldung der Arbeitsunfähigkeit und somit als Reaktion auf die Inanspruchnahme gesetzlich geschützter Arbeitnehmerrechte erfolgte.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

 

Entscheidung des LAG

Die Berufung des Klägers vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht („LAG“) blieb erfolglos. Das Gericht sah keinen hinreichenden Beleg dafür, dass die Kündigung wegen der Krankmeldung ausgesprochen wurde.

Nach § 612a BGB ist es dem Arbeitgeber untersagt, Arbeitnehmer wegen der zulässigen Ausübung ihrer Rechte zu benachteiligen. Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann eine solche geschützte Rechtsausübung darstellen. Wird sie sanktioniert, etwa durch eine Kündigung, kann dies gegen das Maßregelungsverbot verstoßen.

Die Beklagte begründete die Kündigung damit, dass sich gezeigt habe, dass der Kläger über unzureichende Deutschkenntnisse und keine relevanten Erfahrungen als Fahrer verfügte. Es sei zu mehreren Verkehrsunfällen gekommen, weshalb sich die Beklagte von insgesamt drei der vier von der spanischen Vermittlungsagentur vermittelten Mitarbeiter getrennt habe.

Nach Ansicht des Gerichts sprechen die Gesamtumstände gegen eine gezielte Maßregelung des Klägers aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit. Die Kündigung erfolgte vielmehr im Rahmen der Probezeit, in der keine umfassende soziale Rechtfertigung verlangt wird (siehe § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz „KSchG“). Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie mit der Arbeitsleistung des Klägers unzufrieden war. Seine schlechten Sprachkenntnisse wurden zudem durch die Notwendigkeit eines Dolmetschers in beiden Instanzen untermauert. Zudem sah das Gericht keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB als gegen an, da den Arbeitgeber nur geringes Verschulden traf.

Die Kündigung zwei Tage nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt somit eine bloße zeitliche Koinzidenz dar, ein ursächlicher Zusammenhang lag nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Denn eine gezielte Umgehung der Entgeltfortzahlungspflicht oder eine Bestrafung des Arbeitnehmers für die Krankmeldung konnte nicht ausreichend belegt werden. Die Revision wurde nicht zugelassen.

 

Folgen für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitgeber bei Kündigungen im Zusammenhang mit Krankmeldungen besondere Sorgfalt walten lassen sollten. Der bloße zeitliche Zusammenhang kann bei fehlender Begründung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme hervorrufen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer weniger als sechs Monate in dem Betrieb beschäftigt ist

Zugleich macht die Entscheidung deutlich, dass das Maßregelungsverbot nicht überdehnt werden darf. Die Gerichte stellen hohe Anforderungen an den Nachweis, dass eine Kündigung tatsächlich wegen der Geltendmachung eines Arbeitnehmerschutzrechts – wie hier der Arbeitsunfähigkeit – erfolgt ist. In der Probezeit genügt ein nachvollziehbarer sachlicher Grund, auch wenn dieser nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 2 KSchG unterliegt.

Dennoch empfiehlt sich für Arbeitgeber eine sorgfältige Dokumentation der Kündigungsgründe, um dem Vorwurf einer Maßregelung nach § 612a BGB wirksam begegnen zu können. Insbesondere bei Kündigungen außerhalb der Probezeit sind ausreichende Gründe für die Kündigung darzulegen. Für Arbeitnehmer bleibt wiederum der Hinweis wichtig, dass eine Kündigung im unmittelbaren Anschluss an eine Krankmeldung nicht per se unzulässig ist, wohl aber dann, wenn sie als Reaktion auf die Geltendmachung des Rechts auf Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Die Einzelfallumstände bleiben entscheidend.

 

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Ihre Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Baran Kizil, LL.M.  und Rechtsanwältin Mara Lesch

 

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