Betriebliche Mitbestimmung bei der Einführung von Headset-Systemen – Beschluss des BAG

Mit Beschluss vom 16.07.2024 (Az.: 1 ABR 16/23) stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) fest, dass die Einführung eines Headset-System, das es den Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation unter Arbeitnehmern mitzuhören, auch dann der betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt, wenn Gespräche der beschäftigten nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden. Der Beschluss ist abrufbar unter folgendem Link.

 

Zum Sachverhalt

Die Arbeitgeberin (Antragsgegnerin), ein internationaler Einzelhandelskonzern im Bereich Bekleidung, beschäftigt in der betroffenen Filiale in Deutschland mehr als 200 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat (Antragsteller) sowie ein Gesamtbetriebsrat.

Der Arbeitgeber und er Betriebsrat streiten über das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Einführung und Nutzung von Headsets in der Filiale in Deutschland.

Zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat wurde im Jahr 2018 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Einführung und Anwendung von IKT-Systemen, Datenschutz und Informationssicherheit“ geschlossen. Danach sollen „mitbestimmungspflichtige IKT-Systeme […] in Form einer Systemabsprache als Anlage zu dieser Vereinbarung in den mit dieser Vereinbarung geschaffenen Rahmen integriert“ werden. Später beschloss die Arbeitgeberin, für die Kommunikation der Arbeitnehmer innerhalb der einzelnen Filialen Headsets einer bestimmten Firma zu verwenden. Im Jahr 2021 vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat eine „Systemabsprache“ zum Einsatz dieser Geräte. Es handelt sich um Geräte/Headsets, die mithilfe einer Software betrieben werden. In dem ausschließlich verwendeten Standardmodus bilden alle Arbeitnehmer in einer Filiale eine gemeinsame Kommunikationsgruppe („Conference“). Die Headsets sind miteinander verbunden und ermöglichen die drahtlose Übertragung von „Live-Kommunikation“ an die übrigen aktiven Geräte. Eine Übertragung ist nur innerhalb einer Filiale möglich.

Über das von der Headset-Firma zur Verfügung gestellte Internet-Portal sind mittels der Software die Registrierungsdaten der Headsets, die Bezeichnung des Geräts sowie der Zeitpunkt der Verbindung ablesbar. Es ist auch ersichtlich, wenn Headsets mit der Basisstation in der Filiale verbunden sind. Dieses Portal wird von Arbeitnehmern der zentralen IT-Abteilung in Dublin bedient. Es wird auch dort technisch betreut und gewartet.

Die einzelnen herausgegebenen Headset-Geräte sind keinem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet und werden täglich nach dem Zufallsprinzip aus dem Gerätepool bzw. der Ladestation herausgegeben und am Ende eines Arbeitstages zurückgegeben. Das System selbst und auch sonst von außerhalb erfolgt keine Überprüfung oder Aufzeichnung, welcher Arbeitnehmer wann welches Gerät genutzt hat; eine Aufzeichnung von Sprachsignalen oder Geräuschen durch das System ist technisch nicht möglich.

Der Betriebsrat meinte, dass die Nutzung der Headsets seiner Mitbestimmung unterliege, da das Headset-System eine technische Einrichtung sei, die zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Arbeitnehmer geeignet sei. Und da nicht andere Betriebe betroffen sind, sei nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Dem Arbeitgeber sei daher zu untersagen, das Headset-System einzuführen, solange er nicht mitbestimmt hat oder die fehlende Einigung der Beteiligten hierüber durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG beschäftigt sich in seinem Beschluss zunächst mit den generellen Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts bei der Einführung und der Nutzung von technischen Einrichtungen. Es stellt unter Verweis auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) klar, dass der Betriebsrat unter anderem bei der Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen hat, wenn die Anwendung dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht sei darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind. Die Erhebung und/oder Aufzeichnung von Informationen über Beschäftigte bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung birgt die Gefahr, dass diese zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden. Für das Vorliegen einer Überwachung sei es ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Die technischen Einrichtungen sind zur Überwachung bestimmt, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und/oder aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an. Daher ist es als ausreichend anzusehen, dass das von der Arbeitgeberin eingeführte Headset-System mit seinen vorgegebenen Funktionen eine technische Einrichtung ist, die aufgrund ihrer Nutzungsmöglichkeiten dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Das Headset-System sei aber deshalb zur Überwachung geeignet und bestimmt, weil die in der Filiale tätigen Führungskräfte mit diesen die Kommunikation der anderen Arbeitnehmer, die ebenfalls ein Headset tragen, jederzeit mithören können.

Ein Überwachungsdruck wird durch das BAG bejaht, obwohl keine Aufzeichnung oder Speicherung erfolgt. Denn nach Ansicht des BAG ist eine Aufzeichnung oder Speicherung der verhaltens- oder leistungsbezogenen Daten für das Vorliegen einer „Überwachung“ nicht zwingend erforderlich. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, der bereits dann berührt ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Es sei daher ausreichend, wenn die Datenerhebung und Datenübermittlung auf technische Weise erfolgt und die gewonnenen Daten in dieser Form der – akustischen – Wahrnehmung zugänglich gemacht werden.

 

Folgen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung des BAG zeigt nochmals auf, dass der Anwendungsbereich des betrieblichen Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG recht weit verstanden wird. Schon die Eignung zur Überwachung von Beschäftigten durch eine technische Anwendung genügt nach gefestigter Rechtsprechung für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bzw. des Gesamtbetriebsrates. Die hier nun vorgenommene Klarstellung, dass ein Überwachungsdruck auch ohne eine tatsächliche Speicherung von daten und Aufzeichnung von Gesprächen anzunehmen ist, erscheint nachvollziehbar, zumal es Vorgesetzten jederzeit möglich ist, die geführten Gespräche zu hören und aktuelle Daten abzurufen. Dies erscheint auch konsequent mit Blick auf die Rechtsprechung zur Einführung von Videoanlagen, bei denen ebenfalls keine Speicherung und Aufzeichnung erfolgt, das BAG aber ein Mitbestimmungsrecht wegen des gegebenen Überwachungsdrucks annimmt (BAG, Beschluss vom 26.01.2016 – 1 ABR 68/13). Für Betriebsräte und Arbeitgeber ist daher bei einer beabsichtigten Einführung von IT-Systemen streng darauf zu achten und bei jeder neuen Anwendung zu prüfen, ob und inwieweit ein Überwachungsdruck mittels des IT-Systems auf Arbeitnehmer angenommen werden kann. Die frühzeitige Involvierung des Betriebsrates dürfte sicherlich Diskussionen vorbeugen.

 

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