Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit Urteil vom 14.07.2025 (Az.: 4 SLa 26/24) entschieden, dass die Reproduktion des Zustellbelegs zu einem Einwurf-Einschreiben (inkl. Sendungsverfolgung) keinen Anscheinsbeweis für den Zugang eines Schreibens beim Empfänger begründet. Das Urteil ist abrufbar unter folgendem Link.
Zum Sachverhalt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung. Nachdem der Arbeitgeber in der Vergangenheit vielzählige krankheitsbedingte Fehlzeiten feststellte, lud er den Arbeitnehmer wiederholt zu der Teilnahme an dem betrieblichen Eingliederungsmanagement („bEM“) ein. Der klagende Arbeitnehmer reagierte darauf aber nicht.
Da die Durchführung eines weiteren bEM erforderlich war, erachtete das Gericht es als streitentscheidend, ob die bEM‑Einladung dem Kläger tatsächlich zugegangen war.
Die Arbeitgeberin behauptete Zugang per Einwurf‑Einschreiben. Der Kläger bestritt den Erhalt des bEM-Schreibens. Als Beleg legte die Arbeitgeberin Sendungsverfolgung und die Reproduktion des Zustellbelegs vor.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg
Das Arbeitsgericht Hamburg stellte fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, und verurteilte die Arbeitgeberin zur Weiterbeschäftigung. Es führte zur Begründung auf, dass die Kündigung unverhältnismäßig gewesen sei, weil der Zugang des bEM‑Angebots nicht nachgewiesen war; eine bloße Sendungsverfolgung reiche dafür nicht aus.
Entscheidung des LAG Hamburg
Das LAG Hamburg wies die Berufung der Beklagten als unbegründet zurück.
Das LAG prüfte die krankheitsbedingte Kündigung dahingehend, ob eine negative Gesundheitsprognose, erhebliche betriebliche Beeinträchtigung vorlagen und ob die Kündigung verhältnismäßig war. Im Ergebnis scheiterte auch nach Ansicht des LAG die Kündigung an der Verhältnismäßigkeit: Die Arbeitgeberin habe ihre erweiterte Darlegungslast zu milderen Mitteln – insbesondere zum bEM – nicht erfüllt.
Denn ist ein bEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX erforderlich, muss der Arbeitgeber dieses ordnungsgemäß anbieten. Falls er es unterlässt, trägt er im Prozess die erweiterte Darlegungslast, dass auch ein bEM die Kündigungsgründe nicht hätte vermeiden können. Ein neuerliches bEM ist grundsätzlich auch dann einzuleiten, wenn binnen Jahresfrist nach einem bEM erneut mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit auftreten. Da ein weiteres bEM erforderlich war, musste der Arbeitgeber u.a. die ordentliche Einladung beweisen. Das streitgegenständliche Einladungsschreiben erfüllte inhaltlich zwar die gesetzlichen Hinweise (Ziele, Datenverarbeitung), aber der Arbeitgeber konnte den Zugang beim Arbeitnehmer nicht nachweisen.
Aus Sicht des LAG Hamburg begründet die Kombination aus Einlieferungsbeleg und Reproduktion des Zustellbelegs (im Scannerverfahren) keinen Anscheinsbeweis für den Zugang per Einwurf‑Einschreiben. Das Verfahren bilde keinen hinreichend typisierten, verlässlichen Zustellablauf ab und es fehle eine präzise Zustellinformationen.
Folgen für die Praxis
Wie dieser Fall zeigt, ist es von immenser Bedeutung, ob ein Schreiben, wie etwa eine Einladung zu einem bEM-Gespräch oder eine Kündigung zugegangen ist oder nicht. In der Praxis kommt es häufig vor, dass der tatsächliche Zugang von Schreiben des Arbeitgebers streitig ist. Die aktuelle Scanner‑Dokumentation der Deutschen Post begründet keinen Anscheinsbeweis für den Zugang. Die reine Reproduktion der Zustellbelege ist daher prozessual riskant. Daher kann im Zweifel über alternative Zustellungen – wie etwa die persönliche Übergabe vor Zeugen – nachgedacht werden.
Das LAG hat für die Arbeitgeberin die Revision zugelassen, da die Frage, ob der Zustellbeleg beim Einwurf‑Einschreiben einen Anscheinsbeweis begründet, grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist daher mit Spannung abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht die Gelegenheit haben wird, diese Rechtsfrage zu klären.
Sie haben Fragen zum Thema Arbeitsrecht und Datenschutzrecht? Schreiben oder sprechen Sie uns gerne an!
Ihre Ansprechpartner: Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Baran Kizil, LL.M. und Rechtsanwältin Mara Lesch
Den Beitrag als PDF herunterladen:


