Erschütterung des Beweiswerts von Krankmeldungen nach Erhalt einer Kündigung

In dem jüngst veröffentlichen Urteil vom 31.12.2023 , Az. 5 AZR 137/23, abrufbar unter folgendem Link, stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) klar, dass der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arbeitnehmers erschüttert sein kann, wenn diese nach Erhalt der Kündigung vorlegt werden und passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen.

 

Zum Sachverhalt

Im vorliegenden Verfahren war der Arbeitnehmer seit März 2021 bei seinem Arbeitgeber, einer Zeitarbeitsfirma, als Helfer beschäftigt. Mit einem dem Arbeitnehmer am 03.05.2022 zugegangen Schreiben, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Frist bis zum 31.05.2022. Am 02.05.2022 legte der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 02.05.2022 bis zum 06.05.2022 vor.

Mit zwei weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, vom 06.05.2022 und vom 20.05.2022, ließ der Arbeitnehmer sich seine andauernde Arbeitsunfähigkeit sodann zunächst bis zum 20.05.2022 und sodann bis zum 31.05.2022 (einem Dienstag) bescheinigen. Am 01.06.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf.

Der Arbeitgeber verweigerte sodann die Entgeltfortzahlung für die gesamte Zeit nach Ausspruch der Kündigung. Der Arbeitnehmer erhob daher Klage und forderte die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum bis zum 31.05.2023.

 

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Arbeitsgericht Hildesheim hat der Klage des Arbeitnehmers erstinstanzlich stattgegeben. Die Berufung des Arbeitgebers vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachen blieb erfolglos. Die vorinstanzlichen Entscheidungen sahen trotz der passgenauen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die Voraussetzungen für eine Erschütterung des Beweiswertes als nicht erfüllt an.

 

Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG hat der Revision des Arbeitgebers letztinstanzlich bezogen auf die Zeit vom 07.05.2022 bis zum 31.05.2022 stattgegeben.

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG trägt nach den allgemeinen Voraussetzungen der Arbeitnehmer. Den Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erbringt der Arbeitnehmer sodann in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 2 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.

Das BAG stellte gleichwohl fest, dass es dem Arbeitgeber möglich ist, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, wenn der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegt, die nach einer Gesamtbetrachtung des Falles Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Diese Voraussetzung sah das BAG vorliegend als gegeben an.

Zumindest hinsichtlich der beiden (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 06.05.2022 und vom 20.05.2022 sah es den Beweiswert als erschüttert an. Die Folgebescheinigungen seien passgenau verlängert worden, sodass mit der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestünde. Zudem berücksichtigte das BAG, dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat.

 

Folgen für die Praxis

Der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wird in der Praxis häufig dann thematisiert, wenn eine Kündigung ausgesprochen wird. In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung stellt das BAG klar, dass es Arbeitgebern möglich ist, den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern, wenn Arbeitnehmern passgenau mit dem Ausspruch der Kündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird. Den Arbeitnehmern ist es selbstverständlich unbenommen, das tatsächliche Vorliegen einer Erkrankung im Prozess nachzuweisen.

 

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Ihr Ansprechpartner: Dr. Baran Kizil, LL.M.

 

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