Erstattungsfähigkeit privater Gutachterkosten – Beschluss des OLG Jena

Private Sachverständigengutachten spielen in vielen Zivilverfahren eine wichtige Rolle – als argumentative Stütze, zur fachlichen Einordnung komplexer Fragen oder zur Auseinandersetzung mit Gerichtsgutachten. Das Thüringer Oberlandesgericht (OLG Jena) hat mit Beschluss vom 24.11.2025 (8 W 310/25) die Schwelle für die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren klar konturiert: Erstattungsfähig sind private Gutachterkosten nur ausnahmsweise, und zwar dann, wenn das Gutachten unmittelbar prozessbezogen ist und die Partei – mangels eigener Sachkunde – ohne sachverständige Hilfe nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre. Verfügt die Partei selbst über einschlägige Fachkunde, scheidet die Erstattungsfähigkeit regelmäßig aus. Auch die Vorlage eines gegnerischen Privatgutachtens ändert daran nichts. Diese Linie verfolgt das OLG Jena im konkreten Fall stringent und verweist die fachkundige Partei auf ihren eigenen Kostenanteil.

 

Zum Sachverhalt

Ausgangspunkt war die Frage, ob die Kosten eines im laufenden Prozess eingeholten Privatgutachtens im Rahmen der Kostenfestsetzung als „notwendige Kosten des Rechtsstreits“ anerkannt werden können. Das OLG Jena nimmt die anerkannten Prüfungsmaßstäbe auf und betont zwei zentrale Voraussetzungen: Erstens muss das Gutachten konkret auf den anhängigen Rechtsstreit bezogen und gerade für diesen Auftrag veranlasst sein. Zweitens muss die Partei ohne sachverständige Hilfe objektiv nicht in der Lage sein, ihre prozessuale Darlegungs- und Substantiierungslast zu erfüllen oder sich qualifiziert mit einem Gerichtsgutachten auseinanderzusetzen. Im entschiedenen Fall sah der Senat diese Voraussetzungen nicht als gegeben an, weil die Partei selbst fachkundig war und den erforderlichen Vortrag grundsätzlich ohne externen Sachverständigen leisten konnte. Die Erstattungsfähigkeit wurde deshalb verneint.

 

Ansicht des OLG Jena

Private, prozessbegleitende Gutachterkosten sind nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erstattungsfähig. Maßgeblich sind eine unmittelbare Prozessbezogenheit und die fehlende eigene Sachkunde der Partei als Voraussetzung für sachgerechten Vortrag oder eine substanzielle Stellungnahme zu einem Gerichtsgutachten. Der Senat betont, dass die bloße Optimierung des eigenen Prozessvortrags kein Erstattungsgrund ist. Verfügt die Partei selbst über einschlägige Fachkunde, besteht regelmäßig kein Bedarf für externe sachverständige Unterstützung im Sinne des § 91 Zivilprozessordnung („ZPO“). Diese Vorschrift gewährt der obsiegenden Partei die Erstattung der „notwendigen Kosten“ des Rechtsstreits. Für Privatgutachten bedeutet dies, erstattungsfähig sind nur solche Kosten, die eine vernünftige, wirtschaftlich denkende Partei als zwingend erforderlich ansehen durfte, um überhaupt sachgerecht vortragen zu können. Das umfasst typischerweise technisch oder medizinisch komplexe Fragen, bei denen ohne externes Fachwissen substantiierter Vortrag nicht möglich wäre. Dies gilt auch dann, wenn die Gegenseite ein Privatgutachten vorlegt. Nur Aufwendungen, die in dieser Perspektive unverzichtbar erscheinen, sind erstattungsfähig. Das oft eingewendete „Waffengleichheits“-Argument trägt die Notwendigkeit nach Auffassung des Gerichts dabei nicht. Die fachkundige Partei bleibt in einem solchen Fall auf den Kosten des eigenen Privatgutachtens sitzen.

Die Jenaer Entscheidung ordnet sich in einen obergerichtlichen Trend ein, der die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten restriktiv handhabt und den Notwendigkeitsmaßstab des § 91 ZPO strikt anwendet.

 

Folgen für die Praxis – Handlungsempfehlungen

Die Entscheidung des OLG Jena hat breite praktische Relevanz für Unternehmen, öffentliche Auftraggeber, technische Dienstleister sowie Versicherer, die häufig mit Sachverhaltsthemen arbeiten, die fachliche Tiefe erfordern.

Für fachkundige Parteien (z. B. Unternehmen mit Technikabteilung, Planer, Sachverständige als Partei) dürften Privatgutachten im laufenden Prozess regelmäßig nicht erstattungsfähig sein, wenn die Partei die fachliche Auseinandersetzung selbst führen kann. Das gilt selbst dann, wenn die Gegenseite ein eigenes Privatgutachten vorlegt. Fachkundige Parteien sollten deshalb vor der Beauftragung die Erstattungsfähigkeit kritisch prüfen und die Kostenrisiken transparent machen. Setzen Sie vorrangig auf gerichtliche Beweiserhebung, statt auf prozessbegleitende Privatgutachten. So verlagern Sie die Kosten in die Gerichtssphäre und reduzieren Ihr Erstattungsrisiko.

Die Entscheidung des OLG Jena markiert keine Zäsur, sondern eine konsequente Fortführung des strengen Notwendigkeitsprinzips. Erstattungsfähig sind nur diejenigen Kosten, die eine verständige, wirtschaftlich vernünftige Partei ex ante als unverzichtbar ansehen durfte. Dies spiegelt sich auch in Parallelentscheidungen zum Kostenrecht und zur Abgrenzung anwaltlicher Rechtsaufgaben von fachlich-technischer Expertise wider – prominent illustriert durch die Ablehnung der Erstattungsfähigkeit privater Rechtsgutachten durch das OLG Hamburg im Sommer 2025.

Wenn Sie prüfen möchten, ob in Ihrem Verfahren ein Privatgutachten als erstattungsfähig in Betracht kommt, unterstützen wir Sie bei der strategischen Abwägung, der Formulierung präziser Beweisfragen und der Wahl der kosteneffizientesten Vorgehensweise.

 

Sie haben Fragen zum Thema Zivilprozessrecht, insbesondere im Bereich Baurecht? Schreiben oder sprechen Sie uns gerne an!

Ihr Ansprechpartner: Fritz Marx

 

Den Beitrag als PDF herunterladen:

Blogbeitrag LTMK Privatgutachten