Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm) sprach einer klagenden Arbeitnehmerin mit Urteil vom 11.05.2021 (abrufbar unter folgendem Link) im Zusammenhang mit einem Kündigungsschutzverfahren gegen ihre Arbeitgeberin einen immateriellen Schadensersatzanspruch wegen Datenschutzrechtsverstoßes in Höhe von 1.000,00 € zu.
Zum Sachverhalt
Nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Herne (ArbG Herne) machte die klagende Arbeitnehmerin im laufenden Gerichtsverfahren unter anderem einen Auskunftsanspruch nach Artikel 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Bezug auf Informationen zu der von ihr geleisteten Arbeitszeit geltend. Da die Arbeitgeberin die erbetene Auskunft allerdings nicht fristgemäß innerhalb eines Monats erteilte, erweiterte die Klägerin die Klage unter anderem um einen immateriellen Schadensersatzanspruch gemäß Artikel 82 DSGVO.
Erstinstanzliches Urteil des ArbG Herne
Den datenschutzrechtlichen Zahlungsanspruch wies das erstinstanzlich zuständige ArbG Herne als unbegründet zurück. Es liege keine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin vor, die einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertige. Zudem sei es der Klägerin nicht primär um den Schutz ihrer personenbezogenen Daten, sondern um Vorbereitung der klägerischen Ansprüche gegangen. Schließlich hätte die Klägerin ihren Auskunftsanspruch begrenzen müssen auf Aufzeichnungen, die der Klägerin selbst nicht vorliegen.
Urteil des LAG Hamm
Das im Berufungsverfahren zuständige LAG Hamm teilte die Auffassung des ArbG Herne nicht und gelangte in Bezug auf den immateriellen Schadenersatzanspruch zu einer gänzlich anderen Beurteilung. Wegen der verspäteten und nur rudimentären Erfüllung des Auskunftsanspruchs stehe der klagenden Arbeitnehmerin ein immaterieller Schadensersatzanspruch gegen die Arbeitgeberin zu, ohne dass es auf eine irgendwie geartete Erheblichkeit des Datenschutzverstoßes ankomme. Insoweit verweist das LAG Hamm unter anderem darauf, dass weder der DSGVO noch den Erwägungsgründen zur DSGVO zu entnehmen sei, dass der immaterielle Schadensersatzanspruch nach Artikel 82 DSGVO eine gewisse Erheblichkeitsschwelle voraussetze.
Dafür verweist das LAG Hamm unter anderem explizit auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14.01.2021, 1 BvR 2853/19, in welchem das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde gegen die teilweise Abweisung einer zivilrechtlichen Klage auf Zahlung eines immateriellen Schadensersatzanspruchs nach Artikel 82 DSGVO durch ein letztinstanzlich zuständiges Gericht wegen Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH nach Artikel 267 Abs. 3 AEUV stattgab.
Das LAG Hamm hebt unter Verwies auf Erwägungsgrundes Nr. 146 Satz 3 zur DSGVO hervor, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des EuGH weit und im Sinne einer effektiven Durchsetzbarkeit der DSGVO ausgelegt werden müsse.
Für die Bemessung der Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs zieht das LAG Hamm den für die Bemessung von Bußgeldern geltenden Kriterienkatalog in Artikel 83 Absatz 2 Satz 2 DSGVO heran. Unter Berücksichtigung aller Umstände kam das LAG Hamm auf Grundlage des ihm zustehenden (weiten) Ermessens nach § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO zu dem Schluss, dass ein Schadensersatzbetrag von 1.000,00 € angemessen ist.
Folgen für die Praxis
Das Urteil des LAG Hamm dürfte jedenfalls für datenschutzrechtliche Schadensersatzansprüche im Bereich des Arbeitsverhältnisses erhebliche Folgen haben. Generell kann festgehalten werden, dass Arbeitsgerichte eher dazu tendieren, einen immateriellen Schadensersatzanspruch zu gewähren, ohne eine Erheblichkeit bzw. eine schwerwiegende Verletzung zu fordern.
Die bisher ergangenen, teils gegensätzlichen Entscheidungen deutscher Gerichte lassen den Ruf nach einer Klärung durch den EuGH lauter werden. Solange aber zu dieser Frage keine höchstrichterliche Klärung bzw. keine Klärung durch den EuGH erfolgt, tun Verantwortliche sicherlich gut daran, die datenschutzrechtlichen Regelungen im Unternehmen ernst zu nehmen. Dazu gehört es unter anderem, Auskunftsanfragen von betroffenen Personen (seien es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kundinnen und Kunden oder sonstige Personen) fristgemäß und vollständig zu erfüllen, soweit eine Pflicht hierzu besteht. Vor einer Auskunftserteilung sollte stets eine rechtliche Prüfung des jeweiligen Auskunftsanspruchs vorgenommen werden, um zu verifizieren, ob, in welchem Umfang und auf welche Weise konkrete Auskünfte zu erteilen sind und ob ggf. ein Ausnahmetatbestand zur Auskunftspflicht greift.
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Ihr Ansprechpartner: Dr. Baran Kizil, LL.M.
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