In Kündigungs- und Räumungsstreitigkeiten im Wohnraummietrecht steht häufig die Frage im Mittelpunkt, ob ein Mieter den Wohnungswechsel aus gesundheitlichen Gründen zumutbar bewältigen kann. Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat mit Beschluss vom 28.10.2025 – Az. VIII ZR 17/25 – seine Linie zur gebotenen Beweiserhebung und zum rechtlichen Gehör in Fällen des Härtewiderspruchs (§ 574 BGB) präzisiert. Die Entscheidung betont, dass Gerichte bei substantiiert vorgetragenen Gesundheitsrisiken eines erzwungenen Umzugs regelmäßig ein Sachverständigengutachten einholen müssen und eine Verneinung der Härte ohne ausreichende Sachaufklärung den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen kann. Diese Klarstellung schärft die Anforderungen an Tatsachenvortrag und Beweisplanung von Mietern und Vermietern gleichermaßen. Der Beschluss ist abrufbar unter folgendem Link.
Zum Sachverhalt
Der Fall betraf eine Räumungsklage nach Kündigung des Mietverhältnisses, bei der die Mieterpartei sich unter Hinweis auf gesundheitliche Belastungen gegen den sofortigen Wohnungswechsel zur Wehr setzte und einen Härtewiderspruch nach § 574 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch („BGB“) erhob. Im Berufungsverfahren wurden die gesundheitlichen Folgen eines Umzugs – insbesondere bei fortgeschrittenem Alter und bestehenden Erkrankungen – in den Fokus der Abwägung gestellt; das Gericht verzichtete jedoch auf eine umfassende medizinische Sachaufklärung und negierte den Härtegrund. Der BGH rügte dies als Gehörsverletzung nach Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz („GG“) und betonte die Erforderlichkeit sachverständiger Klärung, wenn gesundheitliche Risiken substantiiert dargelegt sind.
Die Entscheidung fügt sich in eine Serie jüngerer Beschlüsse und Urteile des VIII. Zivilsenats, die die besondere Bedeutung der medizinischen Beweisaufnahme bei behaupteten Gesundheitsgefahren im Umzugsfall hervorheben. Insbesondere wird auf die Pflicht zur Einholung eines Gutachtens verwiesen, wenn der Tatrichter keine eigene besondere Sachkunde nachweisen kann.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der BGH stellt klar, dass bei substantiierter Darlegung erheblicher Gesundheitsgefahren eines erzwungenen Umzugs die gerichtliche Abwägung nach § 574 Abs. 1 BGB regelmäßig erst auf belastbarer medizinischer Grundlage erfolgen darf. Unterbleibt die gebotene Beweiserhebung, liegt darin ein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG. Die Wirtschaftliche oder logistische Umzugsfähigkeit ersetzt dabei nicht die Prüfung, ob ein erzwungener Wohnungswechsel ernsthafte gesundheitliche Nachteile (Verschlechterungen, Entgleisungen, Destabilisierung bestehender Betreuungsstrukturen) auslösen kann. Entscheidend ist dabei immer die prognostische medizinische Bewertung für den Einzelfall. Verzichtet das Gericht auf die Einholung eines Gutachtens, muss es eigene besondere Sachkunde ausweisen. Andernfalls droht eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung, die zu einer Aufhebung des Urteils führen würde. Wenn sich ein gerichtliches Sachverständigengutachten und ein zuvor eingeholtes Privatgutachten widersprechen, sind Widersprüche aufzuklären und tragfähig zu begründen.
Diese Entscheidung harmoniert mit bereits zuvor entwickelten Grundsätzen. Danach ist nicht allein die „Umzugsfähigkeit“ entscheidend, sondern die konkreten – und prognostisch zu bewertenden – gesundheitlichen Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels. Das Landgericht Berlin hat etwa bereits 2018 klargestellt, dass die Bejahung einer Härte nicht absolute Gewissheit nachteiliger Folgen erfordert; es genügt die ernsthafte Gefahr wesentlicher Nachteile, was regelmäßig eine Beweisaufnahme – häufig durch ein (neues oder ergänzendes) Gutachten – verlangt.
Folgen für die Praxis
Der BGH knüpft an seine ständige Rechtsprechung an, wonach bei schwerwiegenden Eingriffen in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (im Sinne von Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG) besonders sorgfältige Sachverhaltsaufklärung geboten ist. Gerade in angespannten Wohnungsmärkten gewinnt damit die Frage, ob angemessener Ersatzwohnraum verfügbar ist, zusätzlich an Gewicht. Die Entscheidung hat daher praktische Konsequenzen für alle Beteiligten. Wer als Mieter einen Härteeinwand erhebt, sollte fachärztliche Bescheinigungen beibringen, die die konkreten Risiken eines erzwungenen Umzugs erläutern und im Verfahren entsprechende Beweisanträge stellen. Der Beschluss unterstreicht, dass Gerichte bei Härtewidersprüchen sehr genau hinschauen. Vermieter sollten daher mögliche Alternativen prüfen (Wohnungsangebote im selben oder nahegelegenen Gebäude, zeitliche Flexibilitäten) und diese dokumentieren, um in die Interessenabwägung einzuspeisen. Vermieter sollten zudem mit einer sachverständigen Beweisaufnahme rechnen und sich darauf einstellen, dass bloße Einwände gegen die „Umzugsfähigkeit“ die gebotene medizinische Aufklärung nicht ersetzen. Die Erfahrung zeigt zudem, dass Gerichte die Beschaffbarkeit angemessenen Ersatzwohnraums (§ 574 Abs. 2 BGB) eigenständig würdigen und ggf. zusätzliche Beweisschritte für erforderlich halten.
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Blogbeitrag LTMK Wohnraummietrecht


