Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Nutzungsbedingungen von Netflix

Mit Beschluss vom 15.04.2021, Aktenzeichen I ZR 23/20 (abrufbar unter folgendem Link) hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil des Kammergerichts Berlin (Kammergericht) vom 20.12.2019, Aktenzeichen 5 U 24/19 (abrufbar unter folgendem Link) bestätigt, in dem das Kammergericht u.a. eine Preisanpassungsklausel des Streaming-Dienstanbieters Netflix, mit welcher ermöglicht wurde, den mit Vertragsabschluss vereinbarten Preis künftig ohne Begrenzung anzuheben – und damit nicht nur ein Gewinnverlustrisiko zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen – als unwirksam eingestuft.

 

Thematische Einordnung

Preisanpassungsklauseln, mit denen sich Anbieter das Recht vorbehalten, die Preise für ihre vertraglichen Leistungen zu erhöhen, finden sich regelmäßig sowohl im Business-to-Business (B2B)- als auch im Business-to-Consumer (B2C)-Bereich. Gerade für das anbietende Unternehmen ist es dabei meist von gewichtigem Interesse, Preise für angebotene Leistungen an sich ändernde tatsächliche Umstände, wie etwa eigene Kostensteigerungen, anpassen zu können.

 

Wenn die entsprechende Preisanpassungsklausel indessen nicht unzweifelhaft individuell zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt wird – was oftmals nicht der Fall sein dürfte – muss sich eine solche Klausel an den gesetzlichen Anforderungen an Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – die geregelt sind in den §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – messen lassen. Ob die diesbezügliche Regelung von Netflix diesen Anforderungen gerecht geworden ist, musste nun die Rechtsprechung beurteilen.

  

Zum Sachverhalt

In dem konkreten Fall ging es unter anderem um eine einseitige Preisanpassungsklausel von Netflix im Verhältnis zu Verbrauchern. Danach war es Netflix möglich, den monatlichen Beitrag für die Nutzung des Dienstes zu erhöhen.

 

Die konkrete zu beurteilende Klausel lautete dabei wie folgt:

„Unser Abo-Angebot und die Preise für den Netflix-Dienst können sich gelegentlich ändern. Sie werden jedoch mindestens 30 Tage vor deren Inkrafttreten über jegliche Änderungen an Preisen und unserem Abo-Angebot informiert.“

 

Die Entscheidung des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs

Nach einer Klage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen hatte das Kammergericht mit Urteil vom 20.12.2019, Aktenzeichen 5 U 24/19 (abrufbar hier), diese Preisanpassungsklausel für unwirksam befunden. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.

 

Nach Ansicht des Kammergerichts benachteiligt die Klausel die Kunden unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Zur Begründung führte das Kammergericht – unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – aus, dass Preisanpassungsklauseln zwar nicht per se als unzulässig anzusehen seien. Dann folgt jedoch das große „Aber“ des Kammergerichts:

 

Es seien stets konkrete Anforderungen an die Wirksamkeit der Verwendung entsprechender Klauseln in AGB geknüpft. So sei eine Preisanpassungsklausel nur dann wirksam, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen (des Leistungserbringers) abhängig gemacht werde und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offengelegt würden, so dass die Kunden bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen könnten.

 

In der von Netflix verwendeten Klausel waren indessen keinerlei Faktoren genannt, von denen eine Preisanpassung abhängig sein soll; vielmehr stand eine Preissteigerung vollständig im Belieben von Netflix, was nach Ansicht des Kammergerichts eine unangemessene Benachteiligung der Kunden bedeute.

 

Auch das eingeräumte Sonderkündigungsrecht bei angekündigten Preiserhöhungen ändere insoweit an der Unangemessenheit nichts. Insbesondere das von Netflix in dem Rechtsstreit bemühte Argument, die Preisanpassungsklausel sei auf Grund von Preisschwankungen für ihr eigenes und vergleichbare Unternehmen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, ließ das Kammergericht in dieser Pauschalität nicht gelten. In diesem Zusammenhang stellte das Kammergericht auch klar, dass allein die Schwierigkeit der vertraglichen Abbildung der zahlreichen Faktoren für die Preisbildung keinen Grund für den Verwender darstellt, von einer verständlichen Formulierung abzusehen.

 

Nachdem der Bundesgerichtshof die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Kammergerichts mit Verweis auf die Unterschreitung des Beschwerdewertes von 20.000,00 EUR als unzulässig verwarf, erstarkte das Urteil des Kammergerichts in Rechtskraft.

 

Stellungnahme zu der Entscheidung und Folgen für die Praxis

Zunächst lässt sich festhalten, dass die Erwägungen des Kammergerichts – was auf Grund des Instanzenaufbaus nicht verwundert – an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Preisanpassungsklauseln orientiert sind. Auffällig an der Entscheidung ist indessen die Deutlichkeit, mit der das Kammergericht die Anforderungen an die Transparenz entsprechender Klauseln darlegt.

 

Auch wenn die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Preissteigerungen für (potentielle) Kunden von großer Bedeutung sein mag, so darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass Unternehmen regelmäßig ein erhebliches – und auch schutzwürdiges – betriebswirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung wesentlicher Preiskalkulationsgrundlagen haben. Wie der Bundesgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 25.11.2015, Aktenzeichen VIII ZR 360/14 (abrufbar hier), betreffend AGB im Energielieferungsbereich ausführte, kann vor dem Hintergrund der unternehmerischen Freiheit nicht verlangt werden, dass sämtliche betriebswirtschaftliche Details der Preiskalkulation offenbart werden. Ausreichend sei es, wenn der Anlass und der Modus der Änderung der Entgelte für die zu erbringende Leistung für den Kunden so transparent dargestellt würden, dass der Kunde die etwaigen Änderungen dieser Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen kann.

 

Die konkrete Ausgestaltung von Preisanpassungsklauseln erfordert mithin ein gewisses Fingerspitzengefühl und hat die Interessen der Vertragspartner hinreichend auszutarieren. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass in dem Fall des Kammergerichts die Nutzungsbedingungen zwar an Verbraucher gerichtet waren. Die generellen Maßstäbe sind jedoch – wenn auch abgeschwächt – auf den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen übertragbar.

 

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof in dem vorliegenden Fall zwar die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Kammergerichts als unzulässig verworfen hat. Dies lag jedoch in erster Linie daran, dass der Wert der Beschwer von Netflix nach Auffassung des Bundesgerichtshofs unter 20.000,00 EUR lag. In Stein gemeißelt ist die Rechtsauffassung des Kammergerichts daher nicht.

 

 

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Ihre Ansprechpartner: Dr. Baran Kizil, LL.M. | Demis Tarampouskas

 

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LTMK-Blogbeitrag-01-07-2021