Das LAG München hat mit Urteil vom 16.04.2025 (Az.: 11 Sa 456/23) entschieden, dass einem Arbeitnehmer, der sich für die Wahl eines Betriebsrats engagiert und daraufhin benachteiligt wurde, Vergütung, Schadensersatz sowie eine Entschuldigung wegen altersdiskriminierender Äußerung zustehen. Die Entscheidung betont den umfassenden Schutz vor Benachteiligung nach § 20 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz („BetrVG“) und stärkt die Durchsetzungsmöglichkeiten auch bei insolventen Arbeitgebern. Die Pressemitteilung des Landgerichts finden Sie unter folgendem Link.
Zum Sachverhalt
Der Kläger war als geringfügig Beschäftigter in einer Gaststätte im Service tätig. Den Dienstplan erhielt der Kläger über WhatsApp. Neben dem Stundenlohn erhielt er Trinkgelder und konnte vergünstigt Speisen und Getränke beziehen. Vor- und Nachbereitungszeiten wurden nicht vergütet; zudem zog der Arbeitgeber pauschal ein „Gläsergeld“ für zerbrochene Gläser vom Lohn ab.
Gemeinsam mit zwei weiteren Arbeitnehmern initiierte der Kläger eine Betriebsversammlung zur Einsetzung eines Wahlvorstands für eine Betriebswahl. Die Unternehmensführung versuchte erfolglos, die Versammlung abzuwenden. Im Ergebnis wurde jedoch kein Betriebsrat gewählt. In der darauffolgenden Zeit wurde der Kläger nicht mehr oder nur noch stark reduziert im Dienstplan berücksichtigt, dann in die Küche versetzt und nach seiner Weigerung, dort zu arbeiten, im April 2022 fristlos gekündigt. Der Arbeitgeber führte zur Verhältnismäßigkeit der Kündigung aus, dass dieser aufgrund seines Alters „noch jung und ohne Unterhaltspflichten“ sei.
Der Kläger erhob vor dem Arbeitsgericht München Kündigungsschutzklage und machte zugleich umfangreiche Zahlungsansprüche geltend. Neben dem Gehalt für Ende 2021 verlangte er teilweise auch Vergütung aus den Vorjahren, in denen zusätzliche Anwesenheits- und Umkleidezeiten sowie branchenübliche Abend- und Nachtzuschläge nicht vergütet worden seien. Für die Monate der Jahre 2020 und 2021, in denen er überhaupt nicht beschäftigt worden sei, forderte er Annahmeverzugslohn. Darüber hinaus verlangte er die Gewährung von 53 Tagen bezahlten Urlaubs sowie seine Wiederaufnahme in die WhatsApp-Gruppe des Servicepersonals, aus der er zwischenzeitlich entfernt worden war.
Das Arbeitsgericht befand nur die Kündigung für unwirksam und gab den Anträgen auf Weiterbeschäftigung und datenschutzrechtlicher Auskunft statt. Das Arbeitsgerichts sah in der Kündigung jedoch keine Strafe für die Betriebsratsinitiative, sondern hielt die Kündigung für unverhältnismäßig, da keine Abmahnung erfolgt sei. Die Zahlungsanträge wurden abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgte der Kläger die ausstehenden Zahlungsansprüche und erweiterte die Klage um die Vergütung für nicht bezahlte Vor- und Nacharbeiten, Rückzahlung des „Gläsergeldes“, Aufwendungsersatz für das Waschen der Dienstkleidung, Annahmeverzugslohn für entgangene Dienste sowie Schadensersatz für entgangenen Verdienst, Trinkgeld und Sachleistungen. Zudem forderte er eine Entschuldigung wegen Altersdiskriminierung.
Im Verlauf des Verfahrens wurde über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger führte das Verfahren gegen den Insolvenzverwalter fort, erweiterte die Klage auf den Geschäftsführer der GmbH wegen vorsätzlicher Behinderung der Betriebsratswahl und gegen den neuen Arbeitgeber auf Urlaubsgewährung des angelaufenen Urlaubs sowie Wiederaufnahme in die WhatsApp-Gruppe.
Entscheidung des LAG München
Das LAG München gab der Berufung des Klägers überwiegend statt. Die Forderungen auf Zahlung des Mindestlohns für erbrachte Arbeitszeiten wurden zur Insolvenztabelle festgestellt, da die geleisteten Stunden über Dienstpläne nachgewiesen waren und das einfache Bestreiten des Arbeitgebers unbeachtlich blieb. Das Einbehalten des Gläsergeldes verstieß gegen die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung, und auch der Aufwendungsersatz für die Reinigung der Dienstkleidung war zu erstatten. Da der Kläger zuvor regelmäßig in erheblichem Umfang, der den Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung überschritt, eingeplant war, sah das Landesarbeitsgerichts die Stundenzahl auch nicht auf die Höhe einer geringfügigen Beschäftigung begrenzt. Der Arbeitgeber geriet in Annahmeverzug, als er den Kläger nicht mehr in gleichem Umfang einsetzte. Ein erneutes Arbeitsangebot des Klägers war nicht erforderlich, da der bisherige Einsatzumfang bekannt und dokumentiert war.
Der Verdienstausfall einschließlich entgangener Trinkgelder wurde als Schadensersatz aus unerlaubter Handlung zugesprochen. Das Gericht stellte fest, dass die Reduzierung der Dienste und die Kündigung auf das Engagement für die Betriebsratswahl zurückzuführen war. Damit verstieß der Arbeitgeber gegen das Maßreglungsverbot aus § 612a BGB und führte zur Unwirksamkeit der Kündigung. Für einen Teil dieses Schadensersatzanspruchs haftet der Geschäftsführer persönlich, da er vorsätzlich gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot aus § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen hatte. Aufgrund einer altersdiskriminierenden Bemerkung wurde der Arbeitgeber zudem zur Abgabe einer schriftlichen Entschuldigung verpflichtet, wobei das Gericht auf die Rechtsprechung des EuGH (C-507/23) zurückgriff.
Darüber hinaus verurteilte das LAG die neue Arbeitgeberin dazu, dem Kläger rund sechs Monate bezahlten Urlaub zu gewähren. Denn der ehemalige Arbeitgeber hatte den Kläger zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er Urlaub nehmen könne. Nach der Rechtsprechung des EuGH war er damit seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen. Damit können die Ansprüche weder verfallen noch verjähren.
Gegen den insolventen Arbeitgeber, den Geschäftsführer und den neuen Arbeitgeber ergingen teilweise Versäumnisurteile, da diese zu einzelnen Ansprüchen nicht erschienen oder nichts vortrugen. Die Versäumnisurteile sind teilweise noch nicht rechtskräftig, die Revision wurde nicht zugelassen, jedoch besteht die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht.
Folgen für die Praxis
Dieser Fall vereint nahezu alle klassischen arbeitsgerichtlichen Streitpunkte, von der Kündigungsschutzklage über Ansprüche auf Annahmeverzugslohn und Schadensersatz bis hin zu den Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen.
Die Entscheidung zeigt die bestehenden Lücken in den teils problematischen Arbeitsbedingungen der Gastronomiebranche auf. Sie verdeutlicht die Pflicht des Arbeitgebers, die Rechte ihrer Beschäftigten konsequent zu wahren. Denn vermeintlich kleine Unachtsamkeiten oder für den Arbeitnehmer nachteilige Vertragsgestaltungen, sei es im Arbeitsvertrag oder in der gelebten Praxis, können im Ernstfall erhebliche Schadensersatzforderungen nach sich ziehen.
Das Gericht hat klar herausgestellt, dass die Gründung eines Betriebsrats in besonderem Maße geschützt ist. Benachteiligungen in diesem Zusammenhang können nicht nur zu hohen Schadensersatzansprüchen führen, sondern zudem auch eine persönliche Haftung der Geschäftsführung begründen.
Neu an dieser Entscheidung ist, dass altersdiskriminierende Äußerungen eine Verpflichtung zur Entschuldigung auslösen können. Wie der konkrete Wert einer solchen Entschuldigung zu bemessen ist und welche tatsächliche Kompensationswirkung sie hat, bleibt allerdings offen.
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